Vor bald 200 Jahren, am 18. April 1827, hatte Goethe mit seinem Assistenten Eckermann eine Spazierfahrt vor die Tore Weimars unternommen. Dabei waren sie gut gewachsenen Pferden begegnet und der Dichter hatte die Unzulänglichkeit der "Ästhetiker" bemängelt, welche umsonst versuchen würden, Schönes durch Abstrakta zu fassen.
Ziffernblätter als Manifestation des Schönen
Nun gibt es zweifellos vielfältige Manifestationen des zeitlos Schönen in der Welt und dazu dürfen neben Pferden unbedingt auch Ziffernblätter von Armbanduhren gezählt werden. Entgegen der Sentenz des deutschen Dichters soll hier versucht werden, Licht auf die Gründe für dieses ästhetische Faszinosum zu werfen und etwas davon zur Sprache zu bringen.
Die Vollkommenheit des Kreises
Im Wesentlichen sind es wohl zwei Aspekte, dies sich dabei auftun, die Form und die Farbe. Hier soll es um die Form gehen. Sogleich sticht nun der Kreis ins Auge, bei dem es sich geometrisch um eine ebene Kurve handelt, die vollkommene Geschlossenheit zeigt. All ihre Punkte weisen dieselbe Entfernung vom Mittelpunkt auf. Darin liegen Strenge, Konstanz und Regelmäßigkeit. Die Zeiger der Uhr bewegen sich mit konstanter Geschwindigkeit auf diesem Kreis. Sie bilden ihn vollkommen ab. Man kann auch sagen, sie führen im Fluss der Zeit eine harmonische Schwingung aus.
Das Runde und der Kreis sind in der Gesellschaft positiv konnotiert. Man kennt "ein rundes Ganzes", will etwas "abrunden", befindet sich im "Kreis der Familie". Auch in der Natur tritt der Kreis auf, man betrachte die Wellen, die ein ins Wasser geworfener Stein erzeugt, den Blutkreislauf des Menschen oder die Blütenform von Blumen wie der Aster und der Gerbera. Und die Planetenbahnen um die Sonne sind zwar keine Kreise, sondern Ellipsen, damit aber doch rund. Was schließlich die Hervorbringungen des Menschen angeht, so kannte schon die vorneuzeitliche Technik das Rad.
Doch zurück zum Ziffernblatt. Auch die vermeintliche Bewegung der Sonne im Tagesverlauf relativ zur Erde ist im Ziffernblatt und der Bewegung der Zeiger auf diesem nachgeahmt. Sie geht am Morgen am Horizont auf, erhebt sich, erreicht gegen Mittag ihren Höhepunkt und sinkt dann wieder, bis sie schließlich hinter dem Horizont verschwindet. Armbanduhren mit digitaler Anzeige haben sich auch nach Jahrzehnten nicht gegen die Analoguhr mit Zeigern durchzusetzen vermocht. Kann es sein, dass hier die ästhetische Wirkkraft des Kreises hineinspielt?
Die Entsprechung im Menschen
Von der Sonne war die Rede. Sie ist eine Kugel, die den Kreis enthält. Die Brücke zum Menschen soll jener Dichter schlagen, mit dem diese Betrachtung begonnen hat. So hatte Goethe einst festgehalten:
"Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Die Sonne könnt es nie erblicken;
Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken?"
Der Kreis findet im Menschen eine Entsprechung, darum zieht ihn das runde Ziffernblatt an.